02. October 2006

Wie kleine Agenturen den großen die Butter vom Brot nehmen

Von Martin Ax

Vor 15 Jahren war die Welt noch in Ordnung. Da galt in der Werbung noch die Regel: Wer Produkte im Ausland vertreibt und internationale, vielleicht gar weltweite Werbekampagnen braucht, beauftragt ein sogenanntes Network, eine jener Großagenturen mit Sitz in London oder New York und Filialen in vielen Ländern wie etwa McCann-Erickson, TBWA, FCB oder BBDO.

Zum Glück ist die Welt nicht mehr in Ordnung: Heute scheint alles möglich zu sein in der Werbung. Europcar zum Beispiel ist einer der größten Autovermieter der Welt mit Hauptsitz in Paris und fast 3000 Stationen in 145 Ländern. Aber die internationale Leitagentur für Europcar-Werbung heißt Flemming-Pfuhl, hat 45 Mitarbeiter und residiert auf drei halben Etagen in einem Kontorhaus an der Spitalerstraße. Oder: Seca, ein Traditionsunternehmen aus Hamburg-Wandsbek, ist weltweit Marktführer für medizinische Waagen und verkauft Produkte in 110 Länder. Aber die komplette weltweite Werbung für Seca-Waagen kommt von Rosenbauer-Solbach, einer Agentur mit 18 Angestellten und Büros am Goldbekkanal. "Wir sind klein, aber hoch spezialisiert", sagt Agenturchef Gregor Rosenbauer selbstbewusst: "In unserem Marktsegment spielen wir in der Champions League." Wir betrachten heute ein Phänomen, das die Werbebranche kräftig durcheinanderwirbelt und dabei dem Standort Hamburg Vorteile bringt. Unternehmen gehen immer flexibler mit ihren Agenturen um, schaffen bei Bedarf selbst Agenturmodelle jenseits eingefahrener Gleise. Der Vorteil: Auch kleine Agenturen haben heute die Chance, internationale Etats zu gewinnen und Werbung aus Hamburg zu exportieren. Zwei extreme Fälle, die sogar in der Branche wenig bekannt sind, stellen wir heute vor. (...) Noch extremer in den Proportionen ist Fall zwei: Rosenbauer-Solbach. Die Agentur ist ein Klassiker der Hamburger Szene. 1970, direkt nach ihrem Studium, haben Gregor Rosenbauer und Hannes Solbach die Agentur gegründet. Aber in 36 Jahren Firmengeschichte hatten sie nie mehr als 22 Mitarbeiter. Warum? Weil die Agentur sich im Laufe der Zeit spezialisiert hat auf Werbung für stark erklärungsbedürftige Produkte, meist im Business-to-Business-Umfeld. Und das ist ein Markt, verglichen mit den großen Verbraucherkampagnen. Das erklärt auch, warum der Kunde Seca weltweit nur eine Agentur beschäftigt, und zwar diese. Medizinische Waagen bei Ärzten oder Kliniken anzupreisen, erfordert Fachwissen und viel Gespür für die Branche. Da wäre es ineffizient, so rechnet Seca, wenn viele Teams in mehreren Agenturen sich einarbeiten müssten. Stattdessen entwirft Rosenbauer-Solbach, mit Hilfe von Übersetzern, alle Werbemittel für 110 Länder in zehn Haupt- und mehreren Nebensprachen. Wieso klappt das? "Weil das Marketing bei Seca gut organisiert ist", sagt Rosenbauer. "Die regionalen Niederlassungen analysieren ihre Märkte hervorragend, die Abstimmung klappt reibungslos. Deshalb kommt dieser Etat mit einem relativ kleinen Team aus." Fazit? Internationale Werbung braucht nicht immer große Strukturen. Dass viele Unternehmen das heute verstanden haben, bereitet den Großagenturen zwar Probleme. Aber es bringt auch neue Chancen für mittlere und kleine Agenturen, die eine Stärke des Standorts Hamburg sind. Artikel erschienen am 02.10.2006